Liebes Braut­paar, liebe Hochzeitsgäste,

ich beginne mit Arthur Schopenhauer.

Die Nutzung von Scho­pen­hauer in einer Rede anläss­lich einer kirch­li­chen Hoch­zeit hat Vorteile.

Zuerst einmal versetzt die Nennung des Namens die Zuhö­rer­schaft in einen Schockzustand. ☺

Dieser wiederum ist nur schwer von gebannter Aufmerk­sam­keit zu unterscheiden. ☺

Zwei­tens hat Scho­pen­hauer kluge Dinge über die Ehe gesagt.

Ich verweise auf seine Bemer­kung, mit der Heirat halbiere man seine Rechte und verdop­pele seine Pflichten. ☺

Er verglich das Heiraten eben­falls mit dem Versuch, mit verbun­denen Augen einen Aal aus einem Sack voller Schlangen herauszufinden. ☺

Spätes­tens jetzt, liebe Hoch­zeits­gäste, werden Sie alle sich nur eine Frage stellen:

Schopenhauer Hochzeitsrede Brautvater

Wie kommt der – und damit meinen Sie mich – aus dieser Sache – und damit meinen Sie diese Rede – wieder heil heraus? ☺

Die Lebens­frage also.

Lebens­frage ist mein Stichwort.

Scho­pen­hauer erklärte schon in jungen Jahren, das Leben sei eine miss­li­sche Ange­le­gen­heit und er wolle es verbringen, indem er darüber nachdenke.

Er tat es lange und recht erfolg­reich, wie man an der Rezep­ti­ons­ge­schichte erkennen kann.

Und am Platz, den seine gesam­melten Werke im Bücher­schrank beanspruchen.

Er postu­lierte den Willen zum Leben als trei­bende Kraft dieser Welt, der sich unter anderem darin ausdrückt, dass Menschen sich begegnen, sich verlieben, dass Menschen heiraten, Kinder bekommen und diesen Kindern sagen:

„Glaub nicht alles, was Scho­pen­hauer geschrieben hat.“

Scho­pen­hauer hätte davor gewarnt.

Aber keiner hört auf ihn.

Natür­lich hat Scho­pen­hauer selbst das geahnt.

Die Philo­so­phen denken und alle anderen kümmern sich nicht darum.

Das war schon immer so.

Nehmen wir einmal die Gnostiker.

Die Gnos­tiker sagten:

„Diese Welt ist jämmerlich.

Ein böser Gott hat sie geschaffen.

Junge, lass dich nicht reinlegen.

Sei Asket.

Befreie dich von deinen Trieben, deinen Wünschen, deinem Begehren.

Vergeis­tige dich … Junge, hörst du mir über­haupt zu?

Der Demiurg ist raffi­niert, er legt dich rein … würdest Du bitte aufhören, diesem Mädel hinterher zu starren.

Die Wahr­heit ist, dass nur die Erkenntnis dich … Junge, bleib hier, ich werde dich mit der Gnosis versorgen, aber dazu musst du aufhören, ihr auf den Hintern … bleib hier und lauf nicht fort … und schon wieder einer, der es nicht kapiert.“

Der Mann wird dem Weibe anhangen, heißt es in der Bibel.

Das Problem ist, dass die Mensch­heit es bis auf den Mond geschafft hat, den atomaren Over­kill erfand, den Wonderbra, die Müll­tren­nung und die Reform der Reform der Reformpädagogik.

Aber manches ändert sich nicht.

Ob es nun der Beschluss Jahwes ist, die Hinter­häl­tig­keit des Demi­urgen, die Hormone, das repres­sive Gesell­schafts­system, das egois­ti­sche Gen, das Repti­li­en­hirn, die falsch gelei­tete Gender­po­litik oder die Mito­chon­drien, die uns ausbeuten – das Ergebnis ist immer dasselbe:

die Menschen heiraten.

Sie sind nicht weise.

Sie verlieben sich und riskieren Zurückweisung.

Sie binden sich und riskieren Verlust, Streit, Enttäu­schung, Trennung.

Sie bekommen Kinder und lassen sich um den Schlaf bringen, treten auf Lego-Steine, machen nervige Kinder­ge­burts­tage durch.

Und – zwei­fels­ohne die schlimmste Prüfung von allen: legen sich wegen einer unge­rechten Beno­tung mit den Lehrern an.

Die Menschen bekommen Frage­bögen und machen ihre Kreuze, statt ihn zu zerknüllen und wegzu­werfen – wie Scho­pen­hauer ihnen zuge­flüs­tert hätte.

Sie machen sich verletz­lich, statt sich mit Erkenntnis zu panzern.

Sie erliegen dem „Fluch der Karibik“, denn sie wagen eine Suche nach dem Schatz.

Sie sitzen nicht am Strand und medi­tieren über die See, sondern sie besteigen ihr Schiff.

Die Menschen planen und das Leben schenkt ihnen Söhne oder Töchter, die nicht geplant waren.

Sie planen und hoffen und das Leben nimmt ihnen das Liebste, was sie haben und reißt ihnen den Boden unter den Füßen weg, als müssten sie eine Ewig­keit lang ins Nichts stürzen.

Heiraten ist nicht weise.

Auf Scho­pen­hauer zu hören, wäre weise.

Und trotzdem und immer wieder:

Wer will schon weise sein, wenn er lebendig sein kann?

Wenn er die wunder­bare Chance hat, ein oppor­tu­nis­ti­scher Mitläufer des Willens zum Leben zu sein?

Liebe Eva, lieber Adam.

Es gibt von mir jetzt keine Tipps.

Nur die bittere Erkenntnis, dass Scho­pen­hauer nicht auf eurer Seite ist.

Buddha auch nicht, die Gnos­tiker auch nicht.

Ihr wart nicht weise.

Aber ihr wart klug und ihr seid mutig und darum sind die Blau­wale auf eurer Seite, die Tiger­lilie, die Tüpfel­hyäne, wir, Lao Tse, die Brenn­nes­seln, Albert Schweitzer, die gemeine Garten­ameise und noch diverse andere Wesen, die wir Lebe­wesen nennen, weil sie leben.

Wir alle weben gemeinsam am Teppich des Lebens.

Viel­leicht, so hoffe ich, werden wir irgend­wann und irgendwo einmal das Muster sehen.

Wir werden die Fäden und die Farben erkennen, die wir hinzu­ge­fügt haben und werden verstehen, warum sie genau an dieser Stelle und auf diese Art einge­fügt werden mussten.

Was würde Lao Tse sagen, dieser „alte Knabe“, dem ich mich aus unklaren Gründe ein wenig verbunden fühle?

Er wäre sehr hilfreich.

Er würde sagen:

„Komm endlich zum Schluss.

Sag was Nettes zu Eva, so in der Art ‚Schön, dich als Schwie­ger­tochter zu haben’.

Und dann lass uns endlich was trinken, ich hätte das Tao nicht gefunden, wenn ich verdurstet wäre.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Also erheben wir unsere Gläser – auf das Wohl des Brautpaares.

Prosit!

Schopenhauer Hochzeitsrede Brautvater